Rede von Prof. Tomáš Kubíček zur Pressekonferenz am 27. November in Berlin 26. 11. 2018

Sehr geehrter Herr Botschafter,

sehr geehrte Damen und Herren,

die tschechische Literatur geht nach Leipzig, um sich den deutschen Lesern in ihrer vollen Kraft und Schönheit zu zeigen. Es ist, als würde man seine Tochter auf ihren ersten Tanzkurs vorbereiten. Und die Besonderheit dieses Gefühls ist nicht nur, dass diese Tochter älter ist als ich. 

Wenn wir uns die Tanzfläche der deutschen Literatur ansehen, ist es eine Freude zu sagen, dass die tschechische Literatur häufig zu Gast bei deutschen Tanzbällen ist. Und das gilt auch umgekehrt. Es hat keinen Sinn, in die ferne Vergangenheit zurückzublicken und sich an die gegenseitigen

Einflüsse zu erinnern, die die Form der tschechischen sowie deutschen Romantik prägten, übrigens auch die naschhafte Zunge des mitteleuropäischen Jugendstils kostete aus dem Berliner, Prager und Wiener Pokal ohne Unterschied, und nur schwer können wir uns die markanten Merkmale des europäischen Expressionismus vorstellen, ohne dass es einen lebendigen Austausch zwischen Prag und Berlin geben würde. Und die Prager deutsche Literatur verborgen hinter den Namen wie Franz Kafka, Gustav Meyring, Reiner Maria Rilke sowie Herman Ungar ist Bestandteil der Geschichte unserer beiden Literaturen. Wichtiger für mich sind zwei andere große Momente dieser freundschaftlichen Beziehung. Der erste ist der Moment des Einbruchs des Nationalsozialismus, auf den viele deutsche Intellektuelle mit Flucht aus Deutschland reagierten. Und die Zwischenkriegs-Tschechoslowakei, die als Vorbild eines demokratischen Staates wahrgenommen wurde, wurde für einige von ihnen zum Zufluchtsort. Auch wenn für eine kurze Zeit. Die deutsche Gesellschaft erwiderte den tschechischen Autoren diese Asylmöglichkeit, wenn diese später vor der Bedrohung des zweiten Totalitarismus aus der Tschechoslowakei flüchteten. Namen wie Klíma, Kohout, Havel, Gruša, Kundera und andere sind dann fester Bestandteil der Editionspläne der deutschen Verlage geworden. Dank dieser Tatsache verlor die tschechische Literatur nicht den Kontakt zum Leser und der Welt. Worauf ich hinaus möchte? Ich möchte die Tatsache betonen, dass sich die tschechische und deutsche Literatur nicht nur längst gegenseitig gut kennen, sondern dass sie sich in wichtigen Momenten gegenseitig geholfen haben. Und in solchen Momenten wird aus Bekanntschaft Freundschaft.

Und diese Nähe bestätigt auch die Literatur selbst. Es scheint, dass wir ähnliche Themen teilen, ob es um das Thema des Verlustes der Wertsicherheit in der Welt geht, in dem die Wurzeln der zwischenmenschlichen Beziehungen faulen; um das Bedürfnis mit Hilfe von Literatur der eigenen Geschichte entgegenkommen und sich um eine hygienische Reflexion bemühen; Wir teilen aber auch das Bedürfnis nach einem Zeugnis des Angstgefühls oder der Befürchtung, dass die Welt, die wir teilen, sich infolge der Globalisierung nicht verkleinert hat, sondern zerbrochen ist. Und es scheint, dass uns auch das aufdringliche Gefühl verbindet, dass die Distanz zwischen unseren beiden Kulturen zunimmt, da unsere Aufmerksamkeit anderswohin auf andere Probleme der Welt gelenkt wurde.

Rund um sechzig Autoren präsentieren im Laufe der Leipziger Buchmesse den deutschen Lesern die tschechische Literatur. Sie wird hier in der Kraft aller Generationen und Genres zugegen sein. Es wird jedoch viel mehr tschechische Literatur während des Tschechischen Kulturjahres geben. Und nicht nur Literatur. Wir wollen nicht nur die tschechische Literatur und ihre Schöpfer nach Deutschland bringen, sondern auch den tschechischen Lesern die deutsche Gegenwartsliteratur vorstellen. Ich würde mich freuen, wenn das Tschechische Jahr, beziehungsweise das Tschechische Kulturjahr in den deutschsprachigen Ländern, die  dauerhaftere Präsenz des tschechischen Elements in der deutschen Kultur erneuern würde, und auch umgekehrt. Die globalisierte Welt hat unsere Aufmerksamkeit irgendwohin hinter den Horizont abgezogen und wir haben ein bisschen vergessen, wie wichtig Nachbarschaft ist, welche auf der Nähe und dem gegenseitigen Kennenlernen beruhen sollte. Die  Wiederherstellung der Nähe ist also eines der wichtigsten Ziele des Tschechischen Jahres.

Wir sind voller Spannung, wie immer, wenn die Lichter angehen und die Tanzfläche sich mit tanzenden Paaren füllt. Wir sind voller Spannung, aber nicht unsicher. Und zwar dank der Tatsache, dass wir uns auf die freundliche Hand unseres Tandemtänzers fest stützen können. Wir kennen uns doch so lange.

Prof. Tomáš Kubíček ist Projektleiter Gastland Tschechien auf der Leipziger Buchmesse 2019 und Direktor der Mährischen Bibliothek.

 

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